Über die Bedeutung der Grünzüge im Südwesten Münchens

Die erste Info-Broschüre des Grünzug-Netzwerk Würmtal e.V. trug die Überschrift:

Natur verbunden

Mit der Doppeldeutigkeit des Wortes „verbunden“ ist schon das Wichtigste zum Thema Grünzüge in unserer Region, ihrer Bedeutung, aber auch Gefährdung ausgesagt. Es ist genau das, was den Unterschied zwischen Stadt und Land ausmacht: die miteinander vernetzten Grünflächen, Wälder, Wiesen und Felder, mit dazwischen liegenden Siedlungsinseln. In der Stadt sind es die Grünflächen, die Inseln zwischen den Siedlungsflächen bilden. Für das Stadtklima ist es besonders wichtig, dass vor allem im Übergangsbereich möglichst viele grüne Finger aus dem Umland möglichst tief in die Stadt hineinreichen und schadstofffreie, kühle Luft zuführen. Für eine intakte Flora und Fauna müssen die Grünflächen des Umlands ausreichend großflächig und vor allem zusammenhängend sein. Oft genug steht dies im Konflikt mit Interessen und Bedürfnissen für andere Nutzungen. Wer das Würmtal kennt, weiß was mit „Entlastungsstraße“, „KIM“ und andere Gewerbegebiete, „Gewerbetrasse“, „Eulenpark“ und anderer Wohnungsbau, „Autobahnsüdring“, „BioRegio“, „Schulwäldchen“, „Seniorenwohnen“, Kiesabbau Forst Kasten / Lochhamer Schlag / Dickwiese gemeint ist. Da hat man oft den Eindruck, Grünflächen würden die Entwicklung der Gemeinden böswillig behindern. Man muss dem Grün dann schon wirklich „verbunden“ sein, um ihm einen ebenbürtigen Stellenwert zubilligen zu können. Das fällt vielleicht leichter, wenn man die vielfältigen Funktionen zusammenhängender (verbundener) Grünflächen kennt. Einige dieser Funktionen wollen wir in diesem Artikel besprechen. Hier Vollversion als pdf-download.

Die Regeln für einen gedeihlichen Ausgleich der Interessen der Siedlungsentwicklung und Erhalt der Grünflächenfunktionen sind im Landesentwicklungsprogramm (LEP) und im Regionalplan (RP) festgelegt. In den Flächennutzungsplänen (FNP) der einzelnen Gemeinden wird das noch mehr im Detail festgelegt. Aber hält man sich wirklich an die Regeln? Sind die Regeln überhaupt ausreichend angesichts der drohenden Klimakatastrophe?

Trittsteine für die Tiere:

Von der Heuschrecke über den Igel bis zum Reh sind die meisten Tiere darauf angewiesen, dass ihr Verbreitungsgebiet möglichst zusammenhängt und nicht von Straßen und Siedlungsbereichen unterbrochen wird. In fast idealer Weise ist dies entlang von Wasserläufen, bei uns der Würm, zwangsweise gegeben, weil selbst Straßen über Brücken geführt werden.

Alpines Pumpen:

Das ist der Motor für die Frischluftzufuhr für München. In einem Bericht des Deutschen Wetterdienstes [1] heißt es, „…, dass das Alpine Pumpen im Stadtgebiet München ein häufig auftretendes Phänomen im Untersuchungsgebiet ist. Die Auswertungen liefern Hinweise, dass es einen wichtigen Beitrag zur Durchlüftung von verschiedenen Bereichen des Stadtgebiets leistet. Die vorliegenden Ergebnisse verdeutlichen somit die Bedeutung funktionsfähiger Luftaustauschbahnen vor allem im Hinblick auf die durch den Klimawandel steigende Wärmebelastung in der Stadt.“

Kaltluftleitbahnen:

Auch und gerade in windschwachen Zeiten wird das Stadtgebiet München mit Frischluft vor allem aus südwestlicher Richtung versorgt. Eine Karte der Kaltluftvolumenströme aus der „Stadtklimaanalyse Landeshauptstadt München“ [2] zeigt dies sehr eindrucksvoll. Wir haben dieser Karte, die auf das Stadtgebiet begrenzt ist, im südwestlichen Ausschnitt eine Karte des angrenzenden Würmtals eingefügt und dort die bewaldeten Flächen grün markiert (im pdf-download). Dies belegt die Wichtigkeit der Wälder und Freiflächen im Würmtal für die Frischluftzufuhr bis weit in die Stadt hinein, um dort Anzahl und Stärke von Hitzeinseln zu minimieren. Um diese Wälder vor ausufernder Siedlungstätigkeit und anderen Eingriffen möglichst zu schützen, sind sie fast durchgehend als Bannwald und Regionaler Grünzug ausgewiesen, zudem in der Waldfunktionskartierung mit einer lokalen oder sogar regionalen Klimaschutzfunktion belegt.

Erholungsfunktion:

Die in der Grafik eingezeichneten Waldflächen sind die ersten zusammenhängenden großen Waldgebiete, die für die Stadtbewohner*innen fußläufig erreichbar sind. Entsprechend hochfrequentiert sind vor allem die unmittelbar an die Stadtgrenze heranreichenden Waldgebiete wie zum Beispiel der Lochhamer Schlag nicht nur durch Spaziergänger*innen, sondern auch durch Jogger*innen und Radfahrer. Aber auch für die Würmtaler Bevölkerung sind die bis weit in den Süden reichenden zusammenhängenden Waldgebiete sehr beliebt für Tagesausflüge. Eine Fahrradtour entlang der Würm bis zum Starnberger See, vorbei an Biergärten und historischen Sehenswürdigkeiten wie die Keltenschanze oder die villa rustica ist sehr erholsam und vermeidet die ein oder andere längere Autofahrt in die Berge.

Wasserhaushalt:

Im Würmtal liegt der Wasserspiegel relativ tief, in 15 bis über 20 Metern Tiefe. Der Boden darüber ist aber sehr durchlässig (Schotterebene). Schadstoffeinträge durch Düngung, Pestizide oder Abwässer finden sich daher recht schnell im Grundwasserstrom, der das Würmtal von Süd nach Nord durchströmt. Die Wasserentnahmestellen und Wasserschutzgebiete befinden sich zwar im südlichen Bereich des Würmtals, aber bei zunehmender Trockenheit und steigendem Trinkwasserbedarf könnte es durchaus noch von großer Bedeutung werden, auf unbelastetes Grundwasser zugreifen zu können. Dass die Trinkwasserversorgung im Würmtal keineswegs auf alle Zeit gesichert ist, zeigt ein Streit um Trinkwasserbrunnen im Landkreis Starnberg [1].

Die Aufrechterhaltung der Wasserspeicherfähigkeit des Bodens und der Verdunstung über Pflanzen, insbesondere Bäume, ist auch für gute kleinklimatische Bedingungen in den Siedlungsbereichen im Würmtal wichtig. Eine Besonderheit stellen in unserer Region die Kaltluftabflüsse an der Würmhangkante dar, die feuchte und kühle Luft in die Siedlungsgebiete entlang der Würm drückt.

Bedrohung der Grünzüge:

Eine Reihe von Schlagworten, die die Flächensubstanz der Grünzüge in unserem Bereich bedrohen sind eingangs schon genannt. Es ist natürlich verlockend, Gewerbegebiete auszuweisen oder auszudehnen, wenn man davon ausgehen kann, dass man Mieter bekommen wird, die dann ordentlich Gewerbesteuer zahlen. Der Preis dafür wird aber oft unterschätzt: Nicht nur die Gewerbebauten verbrauchen Grünfläche, sondern auch die Erschließung. Baut man nicht auch noch gleichzeitig Wohnraum (jeder Arbeitsplatz löst im Durchschnitt Wohnraumbedarf für mindestens zweieinhalb Neubürger aus (Details im pdf-download hier)), erhöht sich der Siedlungsdruck und Miet- und Immobilienpreise steigen, ein Verdrängungswettbewerb findet statt. Andernfalls muss noch mehr Grün versiegelt werden. Außerdem steigen der Wasserverbrauch und der Energiebedarf, der Verkehr nimmt zu. Dem Erholungswert der verbleibenden Freiflächen kommt das erst mal nicht zugute. Die Gemeinde entfernt sich von der Klimaneutralität.

Eine nicht zur Ruhe kommende Bautätigkeit benötigt auch Beton. Solange hier nicht radikal auf Recyclingbetone und Holzbauweise umgedacht um umgestellt wird, wird der lokale Kiesabbau weiter damit argumentieren, dass er ja gebraucht wird. Weil fast alle unbewaldeten Freiflächen im nördlichen Würmtal längst ausgekiest sind, findet der Kiesabbau mittlerweile ausnahmslos im Wald statt. Das derzeitige Abbaugebiet und künftige Planungen haben wir oben in der Karte markiert. Man mag sich wundern, wie das möglich ist, wo die Wälder doch Bannwälder sind, Regionale Grünzüge, Erholungswald, Klimaschutzwald, meist auch noch Landschaftsschutzgebiet. Hier tut sich leider eine Schwäche der Regionalplanung auf: Trotz dieser vollmundigen Schutzausweisungen ist sie nicht in der Lage – oder will es nicht – großflächigen Rodungen einen Riegel vorzuschieben. Bis vor Kurzem sahen das auch die Gerichte nicht anders. Obwohl eine Rodung von Bannwald an sich nicht erlaubt ist, wird sie dennoch genehmigt, oft sogar ohne den vorgeschriebenen Ausgleich, weil der Wald ja nur vorübergehend nicht vorhanden sei, die Kiesgruben ja wieder verfüllt und aufgeforstet würden. Dass es mindestens 50 Jahre dauert, bis dieser neue Wald – wenn überhaupt – seine vielfältigen Funktionen wieder wahrnehmen kann, war bis dato kein durchschlagendes Argument.

Diese Missstände der Regionalplanung hat die „lokale Agenda 21 – zukunftsfähiges Würmtal“ schon in den 90er Jahren erkannt und artikuliert, damals noch ohne positive Resonanz in den Rathäusern und Gemeinderäten. Eine gewisse Bereitschaft zu interkommunaler Zusammenarbeit deutet sich mit der Installation des Regionalmanagements München Südwest (www.rmmsw.de) an.

Unterstützung zum Schutz vor Versiegelung und Rodung von Bannwäldern erwächst neuerdings auch aus einer sehr schlagkräftigen Richtung: Seit März 2021 hat der Klimaschutz Verfassungsrang. Die Bundesregierung musste das Klimaschutzgesetz nachbessern, ein Aufschieben von Maßnahmen zum Erreichen der Klimaneutralität ist nicht mehr erlaubt. Dies muss auch unmittelbar in die Genehmigungspraxis einschlägiger Antragsverfahren einfließen. Zum Beispiel auch auf die Genehmigung eines Abgrabungsantrags für Kiesgewinnung. Damit kann der Verbotstatbestand der Bannwaldverordnung im Bayerischen Waldgesetz nicht mehr durch „ist ja nur vorübergehend“ ausgehebelt werden. Dieser Überzeugung ist jedenfalls die Rechtsanwaltskanzlei, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März diesen Jahres mit auf den Weg gebracht hat, die Kanzlei Günther aus Hamburg. Sie hat ein Mandat des Grünzug-Netzwerk Würmtal e.V. angenommen und eine Stellungnahme verfasst, die die Nichtgenehmigungsfähigkeit weiteres Kiesabbaus im Forst Kasten ausführlich begründet [2]. Nach Ansicht der Kanzlei wäre auch eine Genehmigung der Auskiesung im Lochhamer Schlag vor dem Hintergrund des Verfassungsgerichtsurteils ermessensfehlerhaft.

Fazit:

Nicht nur für Pflanzen und Tiere sind zusammenhängende Grünzüge überlebenswichtig. Die Grünflächen vor den Toren Münchens sind auch für das Stadtklima von enormer Bedeutung. In Zeiten der Klimakrise dürfen sie nicht weiter durch Siedlungstätigkeit, Straßenbau und Kiesabbau geschmälert werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 könnte die Wende bringen und den Flächenverbrauch auch vor den Toren Münchens begrenzen.

 

[1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/gauting-krailling-trinkwasser-muehltal-versorgung-1.5167856

[2] Rechtsanwälte Günther, Hamburg. Download verfügbar unter: https://www.gruenzugnetzwerk.de/images/Dokumente/Stellungnahme_Kanzlei-Guenther_Verheyen_Forst-Kasten_FINAL.pdf

 

[1]  Gudrun Mühlbacher, Meinolf Koßmann, Katrin Sedlmeier, Kristina Winderlich: Stadtklimatische Untersuchungen der sommerlichen Temperaturverhältnisse und des Tagesgangs des Regionalwindes („Alpines Pumpen“) in München. DWD 252, 2020

[2] Bericht zur Stadtklimaanalyse der LHM, Stand: Juli 2014, verfügbar unter https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Gesundheit-und-Umwelt/Stadtklima/Stadtklimaanalyse.html